Produktivitätspeitsche
Die Produktivitäts-Peitsche kehrt zurück:
Warum uns die "German Angst" nicht weiterhilft
Dieter Feige, April 2024
Erinnern Sie sich an die "Produktivitätspeitsche"? Dieser Begriff stammt noch aus den Zeiten der starken D-Mark, als Deutschlands hohe Löhne und die starke Währung unsere "Made in Germany"-Produkte auf den Exportmärkten teuer machten. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten wir permanent Produktivität und Qualität steigern. Mit der Einführung des Euro verschwand dieses Wechselkursrisiko scheinbar, und die "Peitsche" wanderte ins Museum.
Doch die Realität holt uns ein: Aktuelle Zahlen zeigen alarmierende Trends. Trotz eines Anstiegs des Arbeitsvolumens hinkt das BIP-Wachstum hinterher, die Produktivität sinkt. Es ist eine Binsenweisheit, aber sie bleibt wahr: Gesellschaftlicher Wohlstand kann nur mit Produktivitätswachstum gehalten werden. Dies gilt umso mehr in einer alternden Gesellschaft, in der immer weniger Erwerbstätige die Kosten für eine wachsende Zahl von Ruheständlern erwirtschaften müssen.
Mehr Lohn als Motivations- und Modernisierungs-Peitsche?
Nun werden Rufe nach der Rückkehr der "Produktivitätspeitsche" laut – aber wie soll sie wirken angesichts von Fachkräftemangel, dem Abschied der geburtenstarken Boomer-Generation und einem deutlichen Rückgang der Berufseinsteiger?
Führende Ökonomen von Fratzscher bis Fuest sehen eine überraschende Lösung: Höhere Löhne könnten die Produktivität wachsen lassen! Ihre Argumentation:
- Anreizwirkung: Höhere Löhne motivieren nicht nur dazu, mehr und länger zu arbeiten, sondern senden auch ein attraktives Signal an dringend benötigte ausländische Fachkräfte. Gleichzeitig könnte dies die Abwanderung hochqualifizierter Kräfte stoppen. Mehr Lohn erhöht also das Arbeitsangebot – eine "Motivationspeitsche" als Zuckerbrot.
- Rationalisierungsdruck: Gestiegene Lohnkosten zwingen Unternehmen, nur noch produktive Jobs zu besetzen und langfristig menschliche Arbeitskraft durch Automatisierung und Rationalisierung zu ersetzen. Tesla geht hier mit dem "Unboxing"-Konzept – einer Weiterentwicklung von Fords Fließbandproduktion – voran: Mit 40% mehr Robotern, weniger Fläche und Personal wird hier ein Quantensprung an Produktivität erwartet.
Dieser technologische Wandel erfordert seinerseits zusätzliche qualifizierte Arbeitskräfte und führt zu weiterer Produktivitätssteigerung. Die Zuversicht ist groß, dass KI in vielen Bereichen menschliche Arbeit vollständig ersetzen kann – Paradigmenwechsel, die wir schon vom Fließband und menschenleeren Produktionsstätten kennen.
Deutschlands Bremser: Bürokratie und fehlender Mut
Dank stetigem Produktivitätswachstum nach der Währungsreform konnten in der jungen Republik Zuwächse bei Löhnen und Arbeitszeitverkürzungen gewährt werden. Nach der Wiedervereinigung half die rigide Schließung unrentabler Betriebe in Ostdeutschland der gesamtdeutschen Produktivität.
Doch in den letzten Jahren sehen wir eine andere Entwicklung: Rettungspakete, die unrentable Unternehmen am Leben erhalten, statt sie dem Markt zu überlassen. Parallel dazu wächst ein Schattenstaat aufgeplusterter Bürokratie, der Genehmigungsverfahren durch einen Wust an Auflagen und Einspruchsfristen extrem in die Länge zieht. Die schleppende Digitalisierung tut ihr Übriges. Deutschland ist zwar Nummer zwei bei Patentanmeldungen, doch viele Innovationen verschwinden in Schubladen.
Es ist höchste Zeit für die nun vollmundig beschworene Wirtschaftswende, die sich jedoch an ihren Taten messen lassen muss. Wir können uns die "German Angst" vor dem Wandel nicht länger leisten.
Wie Charles Darwin treffend bemerkte: "Es sind nicht die stärksten Arten, die überleben, auch nicht die intelligentesten, sondern diejenigen, die am schnellsten auf Veränderungen reagieren." Die "Produktivitätspeitsche" mag ein alter Begriff sein, doch ihre Botschaft ist aktueller denn je: Wir müssen uns den Veränderungen stellen – mit Mut, Innovation und der Bereitschaft, auch unbequeme Wege zu gehen.
Was denken Sie: Ist die "Produktivitätspeitsche" ein notwendiges Übel oder gibt es andere Wege, um Deutschlands Wirtschaft zukunftsfähig zu machen?
Ihr Dieter Feige
