Dabbawalas


Die Dabbawalas: Mumbais Meister der Mittagslogistik – Eine Lektion in Resilienz und Effizienz | Low-Tech-Logistik

 

Dieter Feige, Juli 2025

Meldungen über die Verwundbarkeit unserer globalen Lieferketten – Staus in Häfen, Streiks, Personalmangel, Piraterie, Hackerangriffe, Kriege – sind an der Tagesordnung. Angesichts dieser Komplexität denke ich oft an ein scheinbar archaisches, doch brillant funktionierendes Logistiksystem, das ich während meiner beruflichen Aufenthalte in Mumbai kennenlernen durfte: die Dabbawalas.

Die geniale Einfachheit eines täglichen Wunders

Stellen Sie sich vor: Ein Donnerstag in Mumbai, kurz vor 12 Uhr. Jaspal Gupta, ein Informatiker, freut sich auf sein Lieblingsgericht Biryani, das seine Frau Lata ihm versprochen hat. Wenige Minuten später klopft es an seiner Bürotür. Es ist Prakash, ein Dabbawala, der ihm mit einem freundlichen Grinsen seinen "Dabbas" (einen mehrteiligen Speisebehälter) auf den Schreibtisch stellt. Am Nachmittag wird der leere Behälter wieder abgeholt.

Jaspal Gupta ist einer von 200.000 Kunden in Mumbai, die sich täglich zwischen 12 und 13 Uhr ihr frisch zubereitetes, mundwarmes Mittagsmahl an den Arbeitsplatz liefern lassen – direkt vom heimischen Herd oder aus einer Großküche. Dieser Service spart Zeit und Geld und kommt der tief verwurzelten indischen Gewohnheit entgegen, Mahlzeiten aus der eigenen Küche zu verzehren.

Seit über hundert Jahren funktioniert dieser Dienst mit einer sagenhaften Kundenzufriedenheit von 99,9 Prozent. Rund 5.000 Lieferkulis, die Dabbawalas, von denen die meisten Analphabeten sind, verdienen dabei ein ansehnliches Einkommen von umgerechnet rund 120 € im Monat. Das Essen erreicht den Kunden in der Zwölfmillionen-Metropole "just in time" – der Radius der Anlieferungen beträgt innerhalb von drei Stunden rund 70 innerstädtische Kilometer, inmitten dichten Verkehrs.

Low-Tech-Exzellenz: Organisiert wie ein Ameisenhaufen

Dieses Logistiksystem funktioniert rein analog, ist "Low-Tech" und kommt ohne digitale Tools aus – fast archaisch. Und doch erhielt dieser "Weltrekord an Zustellungsgenauigkeit" laut SAP die Auszeichnung "Bestes Zeitmanagement". Wohlgemerkt bei 80 Millionen Anlieferungen pro Jahr und einem Zufriedenheitsgrad von nahezu einhundert Prozent. Das bedeutet statistisch gesehen nur einen Fehler bei 6 Millionen Anlieferungen! Das Motto der Dabbawalas ist schlicht: "Error is horror."

Wie gelingt solch eine Meisterleistung, die in ihrer Präzision Vergleiche zu Insektenstaaten nahelegt?

Die Lieferkette ist perfekt organisiert:

  1. Abholung: Ein eingespieltes Team von Dabbawalas holt die Dabbas morgens mit Fahrrädern oder Handkarren vom heimischen Herd oder der Großküche ab und bringt sie zu lokalen Sammelpunkten.
  2. Transport: Von dort erfolgt der Weitertransport meist mit innerstädtischen Eisenbahnen zu den jeweiligen Zielzonen.
  3. Zustellung: Spezielle Dabbawalas liefern die Mahlzeiten pünktlich und punktgenau an die Kunden. Der Rücktransport der leeren Behälter funktioniert spiegelverkehrt. Ein einfaches, für Analphabeten lesbares Codierungssystem auf den Dabbas garantiert, dass jeder Behälter seinen Kunden und den Weg zurück findet. Jede Gruppe von Dabbawalas wird von einem Vorarbeiter, einem Mukadam, geleitet. Sie sind selbstständig, gewerkschaftlich organisiert und teilen den monatlichen Verdienst. Strikte Regeln gegen Fehlzeiten, Alkohol/Tabak während der Arbeitszeit und inkorrekte Kleidung sichern die hohen Qualitätsstandards und den hervorragenden Ruf.

Ein historisches Erbe im Wandel

Dieser Lieferservice wurde bereits 1890 im damaligen Bombay ins Leben gerufen, um den Hunger in Büros ohne Kantinen zu stillen und den vielfältigen ethnischen Geschmäckern gerecht zu werden. Aus der gemeinnützigen Stiftung von 1956 ist heute die kommerzielle Mumbai Tiffin Box Suppliers Association geworden.

Neuerdings nutzen auch immer mehr Restaurants diesen Service wegen der pünktlichen und zuverlässigen Anlieferung. Und ja, auch ein Hauch von "High-Tech" ist eingezogen: Bestellungen erfolgen bereits per SMS. Mit jährlichen Wachstumsprognosen von fünf bis sieben Prozent verbreitet sich dieses Logistiksystem auch in anderen indischen Städten.

Was wir von den Dabbawalas lernen können: Resilienz für globale Lieferketten

Die Dabbawalas sind optimal auf die indischen Verhältnisse und Mentalität zugeschnitten: Hausmannskost à la carte, dauerhafte Arbeit mit auskömmlichem Verdienst für Analphabeten, basierend auf einem Wertekanon, der an europäische Zünfte erinnert. Genau diese strikte Einhaltung des Wertesystems ist ihr Erfolgsgarant.

Auch wenn sich dieses System kaum originär auf unsere Verhältnisse übertragen lässt, können wir doch von seinen Stärken lernen, insbesondere für neue Supply-Chain-Strategien im Zeichen des Lieferkettengesetzes ab Januar 2023. Die Pandemie-Schocks und aktuelle Konflikte haben die Notwendigkeit von Resilienz in Lieferketten drastisch vor Augen geführt.

Die entscheidenden Faktoren für den störungsfreien Ablauf der Dabbawalas – lokale Produktionsstätten, kurze Transportwege, zuverlässige Transportsysteme (Fahrrad, Handkarren, Eisenbahn), zentrale Umschlagplätze, leicht erkennbare Codierung und ortskundige Manpower in eingespielten Teams – bewirken eine optimale Widerstandsfähigkeit.

Viele Überlegungen sind im Spiel, wie wir Risiken minimieren können: regionale Beschaffungsmärkte, Produktionsstätten in geografischer Nähe, erhöhte Bevorratung, alternative und Notfall-Lieferanten. Vermutlich wird die Lösung ein Diversifizierungs-Mix sein, den man Glokalisierung nennt: global-lokal.

Getreu dem berühmten Zitat von Hölderlin: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch." Die Dabbawalas sind ein lebendiger Beweis dafür.

Was sind Ihre Erfahrungen mit "Low-Tech"-Lösungen, die in ihrer Effizienz "High-Tech"-Systeme übertreffen? Und welche Rolle spielt Resilienz in Ihren aktuellen Lieferkettenstrategien?

Dieter Feige

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