Das Lied von der Glocke
…. jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn…
Dieter Feige März 2022
In diesen Tagen der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine kam mir das Gedicht von Friedrich von Schiller in den Sinn, „Das Lied von der Glocke“, das er 1799 verfasste, zutiefst berührt von der Schreckensherrschaft der Jakobiner. War die Französische Revolution unter der Parole von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ausgerufen worden, so endete sie schnell in blutiger Anarchie, mörderischem Terror und Willkürherrschaft, in der die Köpfe rollten. Schiller, ein glühender Verfechter des Naturrechts und ein friedliebender Humanist, der als promovierter Militärarzt 1802 geschockt vom Anblick der Krüppel und Invaliden desertierte, prangert diese todbringende Leidenschaft des homo sapiens in den bekannten Versen an. „Gefährlich ist’s, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn; jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn. Weh denen, die dem Ewigblinden, des Lichtes Himmelsfackel leihn, sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden, und äschert Städt’ und Länder ein.“ Dieser brutalen Eskalation setzt er in diesem Gedicht die bürgerlichen Tugenden seiner Epoche gegenüber, vor allem Freiheit, Frieden, Freundschaft.
Nun sind Glocken in der digitalisierten Welt in den Hintergrund getreten, begleiten sie doch mit ihrem Klang nicht mehr den Ablauf des Tages vom frühen Morgengeläut bis zur Abendruh. Doch sind sie in ihrer symbolischen Kraft bis heute nicht verstummt. Auch wenn sie in Kriegstagen das Schicksal erlitten haben, dass sie für Kanonen eingeschmolzen wurden. Für eine Welt ohne Krieg und mörderische Atomwaffen ertönt seit 1964 jedes Jahr am 6. August die Friedensglocke von Hiroshima. Die erste Weltfriedensglocke wurde 1954 am Sitz der Vereinten Nationen in New York aufgestellt. Mittlerweile gibt es 25 Weltfriedensglocken weltweit. Seit 1950 ertönt im Schöneberger Rathaus in Berlin die Freiheitsglocke, eine Nachbildung der Liberty Bell in Philadelphia. In der Hoffnung auf diese Wirkmächtigkeit der Glocke als ihrer obersten Bedeutung endet Schillers „Lied von der Glocke“ mit diesen Versen: „Ziehet, ziehet, hebt! Sie bewegt sich, schwebt. Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute.“
Hoffen auch wir darauf, dass der mächtige Klang der Glocke das schreckliche Gedröhne der Waffen übertönt und sich Gehör für den Frieden verschafft.