War for Talents


Vorwort

Talent verpflichtet

 

Ein Talent hat einen Wert höchster Güte. Wer Talent besitzt, sollte sich dieser Kostbarkeit bewusst sein, sein Talent nützen und es nicht verschwenden. Talent, ursprünglich eine altbabylonische Maßeinheit, die Last, die ein Mann tragen konnte, wurde es bei den Völkern der Antike, Juden und Griechen, die höchste Zähleinheit für Silbermünzen. Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten aus dem Neuen Testament verdeutlicht den Wert von Talenten, werden sie genützt. Drei Knechte erhalten von ihrem Herrn Talente, um sie zu nützen. Der erste fünf, der zweite zwei, ein dritter eins. Der erste Knecht erwirtschaftete zu den fünf Talenten noch fünf dazu, der zweite Knecht gewann zu seinen zwei Talenten noch zwei dazu, sie verdoppelten also den Einsatz. Der dritte Knecht hingegen vergrub sein Talent. Nach seiner Rückkehr verlangte der Herr Rechenschaft. Beide Knechte, die ihre Talente gewinnbringend verwendet hatten, lobte der Herr und übertrug ihnen höhere Aufgaben. Der dritte Knecht, der sein Talent vergraben hatte und es seinem Herrn zurückgab, wurde vom Herrn als fauler und nutzloser Knecht verflucht, weil er das Vertrauen zu ihm gebrochen hatte. Sein Talent erhielt der Knecht mit den zehn Talenten. Er aber wurde aus dem Haus in die Finsternis gejagt, wo er zähneknirschend sein Elend bejammern konnte. „Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat,“ so die weisen Worte seines Herrn.

 

Das Gleichnis macht deutlich, dass zum Besitz eines Talentes gleichwohl die Pflicht gehört, es zu nützen. Dies gilt auch für das Talent als eine besondere Begabung oder seltene Befähigung. Aus der Waage, griechisch Talanton, wurde das lateinische Talentum, das dann als Talent seit dem 16. Jahrhundert im europäischen Sprachraum verwendet wird. Diese zweifache Bedeutung lässt auch erkennen, dass Geldwert und Begabung eine Sinnbrücke verbindet. Geld muss arbeiten, Talente dürfen nicht verkümmern, wenn sie denn Nutzen bringen sollen. Aber auch, dass Talente ihres Geldes wert sind.

 

 

Mitarbeiterfluktuation und Verlust von Know-how. Die Lösung liegt zwischen Tradition und Umdenken.

 

Dieter Feige, Juli 2014

Deutsche Unternehmen stehen zusehends vor der Herausforderung, dem Verlust von Erfahrungswissen durch Mitarbeiterfluktuation vorzubeugen. Davon betroffen sind sowohl der deutsche Arbeitsmarkt als auch das Geschäft auf den Märkten Asiens, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Deutschland steht in den kommenden Jahre vor einer großen Aufgabe: Es gilt, den Transfer von Wissen der alternden Generation auf die nachfolgende erfolgreich sicher zu stellen. Der demographische Wandel leitet einen Generationswechsel ein, der sich schon jetzt im Fachkräftemangel in den technischen Branchen nieder schlägt. In Deutschland war die Fluktuationsrate am Arbeitsmarkt im europäischen Vergleich zuletzt eher durchschnittlich. Diese Rate ergibt sich, wenn begonnene und beendete Arbeitsverhältnisse eines Jahres addiert und durch die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten geteilt werden. Zusammen mit Frankreich und Italien lag Deutschland 2008 in einer Gruppe rund um die 30-Prozent-Marke. Dagegen waren die Fluktuationsraten von Großbritannien (ca. 35%), Spanien (ca. 45%) und Dänemark (ca. 50%) deutlich höher. Im kommenden Jahrzehnt wird die Überalterung der Gesellschaft aber schließlich durchschlagen: Nach Berechnungen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird allein bis zum Jahr 2020 die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter um 1,8 Millionen sinken. Von 2020 bis 2025 geht diese Zahl um weitere 1,8 Millionen zurück. Im Gegenzug steigt die Zahl der Erwerbstätigen bis 2020 um fast 400.000, um bis 2025 wieder um 500.000 zu sinken, prognostizieren die Arbeitsmarktforscher. Das verspricht zwar rosige Zeiten für Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt, für Arbeitgeber bedeutet es hingegen auch unzählige Übergaben und Wechsel, bei denen kostbares Know-how zu versickern droht.

Vollkommen anders die Vorzeichen in Asien: Hier ist die hohe Mitarbeiter-fluktuation ein Phänomen des prosperierenden Wirtschaftswachstums und immenser Gehaltssprünge der letzten Jahrzehnte: Hochqualifizierte Fachkräfte sind Mangelwahre und werden aggressiv umworben. Sie wandern dorthin ab, wo das höchste Gehalt winkt - wehe dem, der sie nicht halten kann. Westliche Unter-nehmen leiden unter einer regelrechten Wanderungswelle und die Gehalts-sprünge der letzten Jahre tun dabei ihr Übriges. Das Personalberatungs-unternehmen ECA International prognostizierte Ende 2010 die Gehalts-entwicklung für Asien-Pazifik. Demnach wird in Vietnam 2011 ein durch-schnittlicher Gehaltsanstieg von 11,8% im Vergleich zum Vorjahr erwartet, darauf folgen Indien mit 11% und Indonesien mit 9,4%. Für China rechnen die Experten mit einem Anstieg zwischen 6,5% und 7,5%. Bei der Fluktuationsrate war Indien 2010 mit 13,9% Spitzenreiter in Asien-Pazifik, gefolgt von Australien (11%) und China (10,3%). Alarmierende Zahlen auch in Vietnam: Dort vergrößerte sich 2011 die Gruppe derjenigen Arbeitnehmer, die freiwillig den Job wechselten um satte 37,5%, nicht selten, weil sie andernorts mehr Gehalt erwarteten. Da überlegt man sich zweimal, ob man in eine kostenintensive Fortbildung der Mitarbeiter investiert, nur um diese dann im Anschluss mit dem erworbenen Wissen weiterziehen zu sehen.

Eine Lösung: Die ideelle Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen

Was also tun, um im War for Talents, dem Kampf um Talente, zu bestehen, die begehrten Fachkräfte zu gewinnen und nach Möglichkeit auch dauerhaft an das Unternehmen zu binden? In Deutschland finden größere Unternehmen wie BASF, Siemens oder Adidas neuerdings wieder den Weg dahin zurück, den potentiellen Mitarbeiter mit einem breiten Angebot an attraktiven Arbeitsbedingungen für sich zu gewinnen. Unter dem Dach der Corporate Social Responsibility (CSR) finden sich auch meistens Angebote an den Arbeitnehmer wie Flexible Arbeitszeiten (Telearbeit, Gleitzeit und Freistellungen), Familienverträglichkeit und/oder Betreuungsangebote, Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten sowie die Möglichkeit, längere Auszeiten (Sabbaticals) zu nehmen, um den Akku wieder aufzuladen. Längst hat man begriffen, dass zudem die ideelle Bindung an das Unternehmen erreicht werden muss. Deshalb findet sich in jedem CSR-Report auch Reverenzen auf Ideale wie Nachhaltigkeit, Umweltbewusstsein, Engagement in der Bildungsförderung oder eigene Projekte in der Entwicklungs-zusammenarbeit. Und solche sinnstiftenden Angebote fruchten. Beispielsweise kann man im CSR Report von BASF für 2010 die unternehmensinterne Fluktuationsrate nachvollziehen. So ist der Anteil von BASF-Mitarbeitern, die in den ersten drei Jahren ihrer Tätigkeit das Unternehmen freiwillig verließen, mit den oben genannten Zahlen verglichen, verschwindend gering: BASF-global lag der Durchschnitt bei 1,1%, wobei in Europa nur 0,4% den Arbeitgeber wechseln wollten; in Nordamerika lag der Wert bei 1%, in Asien bei 3,3% und in Südamerika bei 4,4%. Die deutsche Wirtschaft hat in punkto Mitarbeiterfreundlichkeit und –bindung eine gute historische Tradition, die vor der Jahrtausendwende offensichtlich nicht mehr so gepflegt wurde. An diese lässt sich aber anknüpfen und eine Tendenz ist klar zu erkennen. Schon im rheinischen Kapitalismus und im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit hatte sich der Unternehmer die guten Mitarbeiter über eine Werkswohnung und eine Kantine gesichert. Dennoch kein Grund, sich selber auf die Schulter zu klopfen. Anderswo werden diese „neuen“ Angebote und Versprechungen wie selbstverständlich gelebt, und das schon seit Jahrzehnten. Beispielsweise können junge Eltern, die in Dänemark bei größeren Unternehmen arbeiten, ihre Arbeitszeit flexibel gestalten. Die junge Dänin bringt ihr Kind um 7:30 in den Kindergarten, erscheint um 8:00 zur Arbeit und bleibt bis 15:00 oder 16:00 Uhr. Der frühe Abend gehört dem Kind und wenn es im Bett ist, werden von zuhause aus um 21:00 ein Paar E-Mails geschrieben. Das ist kein Einzelfall sondern eine verbreitete Unternehmenskultur, die auch in die arbeitsintensive Branche der Unternehmensberatung hineinreicht und von der sich deutsche Unternehmen ruhig ein paar Scheiben abschneiden können.

Gesteuerter Wissenstransfer zur Abfederung des Generationswechsels

Auch die Ausgestaltung des Generationswechsels ist in Deutschland momentan noch eine Baustelle. Zwar sind hier und da Mentoring-Projekte von älteren Arbeitnehmern und externe Angebote des Transfer Coachings zu finden, die den Verlust von Erfahrung und Know-How verhindern sollen. In der breiten Masse sind sie aber eher die Ausnahme. Ein gutes Beispiel ist ein Wissenstransferinstrument, das Vattenfall Europe am Standort Berlin Ende 2004 einsetzte. Bedingt durch Personalabbau hatten viele Erfahrungsträger in den letzten Jahren das Unternehmen verlassen, was einen schmerzlichen Erfahrungsverlust mit sich brachte. Um diesen aufzufangen, wurden zunächst Schlüsselmitarbeiter identifiziert, wobei die Frage aufgeworfen wurde, was passiert, wenn Herr/Frau Mustermann geht? In fünf Schritten wurde dann der Prozess des Wissenstransfers gestaltet: 1. Erfassung der Arbeitssituation mit dem Wissensgeber 2. Ermittlung des Bedarfs mit dem Wissensnehmer 3. Sichtung des bereits dokumentierten Materials mit dem Wissensgeber 4. Moderierte Übergabegespräche zwischen Wissensgeber und Wissensnehmer 5. Auswertung mit allen Beteiligten. Kernstück war dabei vor allem der Baustein 4: Hier ging es um individuelle Erfahrungen, Erkenntnisse, Erlebnisse, also Wissen, das in der Regel nicht dokumentiert wird. Dieser Dialog war zeitlich offen. Die Personalentwicklung unterstützte, strukturierte und begleitete den „Prozess Wissenstransfer“ in allen Schritten.

Interkulturelle Sensibilität in Asien

In Asien erreicht die Anstrengung, Fach-und Führungskräfte zu gewinnen und zu halten, eine ganz andere Dimension. Hierbei können die oben für Deutschland unter dem CSR-Begriff genannten Angebote für Arbeitnehmer auschlaggebend sein, um sich im War for Talents durchzusetzen. Bei den Großen ist der Standard solcher Angebote sowieso global. Doch Obacht: Im Westen erfolgreiche CSR-Kampagnen können sich im fernen Osten als Blindgänger erweisen. Interkulturelles Fingerspitzengefühl ist hier gefragt; Kampagnen müssen an lokale Gegebenheiten und Wertesysteme behutsam angepasst werden. Wieder gehen die Großen mit gutem Beispiel voran: BASF bietet in China und Indien dreimonatige Einführungsprogramme an, um die Mitarbeiter beim Unternehmenseinstieg zu unterstützen. In ganz Asien wurde 2010 ein Programm zur Work-Life-Balance aufgelegt.

Ein Wissensmanagement, auch für Erfahrungswissen

Die eigentliche Herausforderung liegt aber anderswo: Das Wissen muss fortlaufend im Unternehmen gebunden werden. Arbeitsabläufe müssen dazu überdacht und neu konzipiert werden. Das Know-how muss sorgsam dokumentiert und verwaltet werden, so dass es für einen Neueinsteiger schnell und einfach abrufbar ist. Projekte gilt es nach Beendigung zu evaluieren und die Ergebnisse müssen fixiert werden. Dokumentation und Training sind hierbei die tragenden Säulen. Als Vorbild könnten hier wissensbasierte Dienstleistungen wie die Unternehmensberatung dienen. Prozesse sind schneller und effektiver zu gestalten. Dabei wird nicht immer die 100-Prozent-Lösung erwartet, sondern ein pragmatisches Vorgehen gewählt: Wie lange dauert es, sich der vermeintlich perfekten Lösung um 80% anzunähern? Aufgaben und Verantwortungen sind viel weiter herunter zu brechen. Die Kompetenz der Einzelnen wird dadurch zwar geringer, der Arbeitnehmer ist so im Fall der Fälle aber leichter zu ersetzen. Auf der anderen Seite wird Arbeitsuchenden ein rascherer und unkomplizierter Einstieg ermöglicht und freie Stellen können schneller besetzt werden. Es ist vieles, was von uns ein Umdenken abverlangt, mit dessen Hilfe wir aber der Lösung des komplexen und umfassenden Problems, Wissen im Unternehmen zu halten, näher kommen können.

 

War for Talents (1)