Unternehmenstreue
"Du wirst morgen sein, was du heute denkst“. (Buddha)
Biotechnologe oder Roboterberater?
Treue macht nur am Anfang Spaß (Juliette Grèco)
Die Eule der Minerva, Vogel der Klugheit, fliegt in der Dämmerung gegen Westen dem Licht hinterher. Eine philosophische Deutung, dass die Weisheit uns aus dem Osten der Welt erreicht. Diese mentale Einwanderung könnte auch auf das Thema Veränderungs-bereitschaft zutreffen, Im asiatischen Raum habe ich bereits vor Jahren die hohe Risikobereitschaft, sich stets verbessern zu wollen, kennengelernt, die bei uns erst nach der Jahrtausendwende auf dem Markt aufgetreten ist. Zuvor ein kurzer Rückblick, warum uns die Treue abhandengekommen ist und diese Veränderung einen wichtigen Beitrag leistet, die technologische Aufholjagd zu gestalten.
Es war einmal bis weit über die bundesrepublikanische Nachkriegszeit hinaus. Eherne Treue als Fels in der Brandung. Vierzig Jahre beim Daimler. Von der Lehre bis zur Rente stets für Persil und Pattex am Platz. Deutsche Nibelungentreue, die traditionell zumeist mit einer edlen Armbanduhr belohnt wurde, dem Orden für Loyalität und Fleiß am Handgelenk. Ein Chronometer, das stolze Zeichen für eine lebenslängliche Arbeitszeit in einem Unternehmen. Gelebte Firmentreue war wie die eheliche Treue eine Tugend, die den bürgerlichen Moralvorstellungen entsprach. Die Ehe als feste Bastion der Familie hier, die Loyalität zum Patron der großen Familie Firma dort.
Cut! Die Scheidungsquote liegt unterdessen über 50% und in diesem Fahrwasser veränderte sich auch das Arbeitsethos, denn wer zu lange bei einer Firma und in einem Beruf gearbeitet hat, wird in Phasen der permanenten Veränderungen leicht als statisch und schmalspurig wahrgenommen. In der Wiederaufbauphase mit bewährten Technologien der 2. Industriellen Revolution (1873 - 1929) hatte das Schuster-Leisten-Prinzip noch Bestand, bis Adidas kam. Es vollzog sich rasch ein Paradigmenwechsel, die Innovationssprünge erfolgten in kürzeren Intervallen, exponentiell im Bereich von EDV bis hin zu IT. Vom Commodore zum ersten 3D-Drucker in 15 Jahren. Das erforderte von Arbeitnehmern vor allem in technischen Berufen ständige Anpassung, um mit Expertise an der Front zu bleiben. Hinzu kam das Erfordernis der Querschnittstechnologien, die Cross-Over-Jobs generierten. Gefragt sind heute Know how-Träger, sei es technologisch oder methodisch, aus unterschiedlichen Branchen, um Veränderungen voranzutreiben. Lifetime employment ist auf beiden Seiten nicht mehr angesagt. Die Gen Z, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommt, hat das internalisiert, und Unternehmen im technologischen Wandel brauchen diese Treiber.
Früher sprach man bei externen Einstellungen von frischem Blut. Heute führen disruptive Innovationen bei dem ein oder anderen Unternehmen bisweilen zu einer Organtransplantation. Wenn man es denn rechtzeitig bemerkt – Veränderungsbereitschaft eben.
“Die Mittelschicht in Indien verbringt einen Teil ihrer Zeit mit Bewerbungsgesprächen und wetteifert um Gehaltssprünge”
Dieter Feige 01.11.2011
Als junge Führungskraft in einem japanischen Konzern war ich beeindruckt, wie stark der japanische Management-Stil sich auf die Firmenkultur der deutschen Niederlassung auswirkte. Meeting-Vorbereitung, Präsentationen, Entscheidungsfindung, Vollmachten, Absprachen, Hierarchien und Respekt waren anders besetzt und ich musste mich hierauf einstellen. Was ich früher als Führungsschwäche empfunden habe, wurde in Japan als Stärke des Systems empfunden und der Erfolg hat die Japaner bestätigt. Mit dieser Erfahrung habe ich mich 1985 selbständig gemacht und als Personalberater asiatische Firmen bei der Suche und Auswahl ihrer Führungskräfte für ihre Neuansiedlungen in Deutschland unterstützt. International operierende Konzerne haben auch bei Einstellungs-gesprächen ihre eigenen Prozeduren und so wurde zum Beispiel bei der Ansiedlung eines Werkes für Videorekorder für jede Führungskraft zur Überprüfung der fachlichen Kompetenz ein umfassender Test durchgeführt. Selbstverständlich waren die Bewerber nicht begeistert, denn wer sich über Gesellen- und Meisterausbildung sowie anschließendes Studium zum Ingenieur qualifiziert hatte, schien zweifelsfrei geeignet. Meine Auftraggeber beklagten schon damals, dass weltweit eine große Lücke zwischen theoretischer Ausbildung und betrieblich/fachlicher Eignung klaffe und eben dieses Risiko wollte man ausschließen. Diese Erfahrung begleitet mich seither und bestätigt sich in all meinen internationalen Search-Projekten.
In meinem privaten Umfeld habe ich diesen Vorsatz zurückliegend nicht berücksichtigt, als ich für meine Tochter, die zu dieser Zeit mit Ihrer Mutter in China lebte, auf Empfehlung einen Geigenlehrer gefunden hatte. Der pensionierte Virtuose war über jeden Zweifel erhaben, denn es war bekannt, dass er 35 Jahre bei dem renommierten Shanghai Philharmonic Orchestra gearbeitet hatte. Zudem kam die Empfehlung von einer uns bekannten und geschätzten Familie. Als ich einmal meine Tochter vom Unterricht abholte, bat ich den Meister, mir doch noch etwas vorzuspielen. Sein Zögern und seine genierliche Zurückhaltung steigerte meine Erwartung zusätzlich und so gab er meinem Drängen letztlich doch nach – zu meiner großen Enttäuschung. Es stellte sich heraus, dass er zwar beim Philharmonic Orchestra als Geigenspieler beschäftigt gewesen war, dort jedoch als junger Mann nur ein einziges Mal aufgetreten war; er hielt sich jedoch für didaktisch begabt und sah in meiner Tochter ein großes Talent, das er auf ihrem ruhmreichen Pfad begleiten wollte.
Empfehlungen sind in Asien generell mit der gebotenen Vorsicht zu genießen. Sie werden oft geschickt eingefädelt, in der Regel weil der Gesprächspartner einem Dritten gegenüber verpflichtet ist und sich nicht als Treuhänder des entgegengebrachten Vertrauens sieht. Unser klassisches Abfragen “können Sie dies und haben Sie das schon einmal gemacht” funktioniert nicht, denn erfahrungsgemäß wird erst einmal alles zugesagt; getreu dem Motto: hoffentlich fällt es nicht auf. So werden in Indien die jungen Programmierer von SAP als Spitzenkandidaten gehandelt, ohne dass man sich über die fachliche Eignung Gedanken gemacht hätte.
In den 1990er Jahren gab es einige Ansiedlungen asiatischer Firmen, die ihr European Headquarter in Deutschland aufbauten. In einem europäischen HQ sollten natürlich auch Mitarbeiter aus den jeweiligen Ländern beziehungsweise Märkten eingebunden sein. Diese Herausforderung war damals der Grundstein für unsere internationale Ausrichtung. Der weitere Entwicklungsschritt zu unserer heutigen Ausrichtung waren neue Technologien. Um ein Beispiel zu nennen: Als das nationale C-Netz durch den internationalen GSM Standard abgelöst wurde, musste eine neue Telekommunikations-Infrastruktur aufgebaut werden. Es entstanden neue Geschäftsmodelle (z. B. Service-Provider) - zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch kaum Know-how-Träger in Deutschland. Diese Experten gab es in den angelsächsischen Ländern. Folgerichtig suchten wir dort die Fachleute und konnten sie für ein Assignment in Deutschland gewinnen. Der Anteil internationaler Führungskräfte in Deutschland ist in den letzten 15 Jahren erheblich gestiegen. Hierzu haben auch wir unseren Beitrag geleistet.
Beginnend mit der ersten Welle der Verlagerung von Industriestandorten haben wir in einem ersten Schritt deutsche Unternehmen auf ihrem Weg nach Osteuropa begleitet und später auch nach Asien, wo wir als Outsourcing-Lösungspartner nach deutschen Standards entscheidungsreife Lösungen vorbereitet haben. Diese Dienstleistung ersparte unseren Auftraggebern viel Zeit und unnötige Enttäuschungen. Die für anspruchsvolle Projekte so notwendige interkulturelle Kompetenz kann man nicht erlesen oder mit dem Backpack erwandern. Diese entwickeln diejenigen, die auf Ihren Lebenswegen die entsprechenden Herausforderungen zu meistern haben.
Wir sind aufgrund unserer internationalen Geschäftsbeziehungen eher zielgruppen-orientiert als auf einzelne Branchen festgelegt. Eine Zielgruppe sind Greenfield Projects, beziehungsweise die Suche von kompletten Teams, zum Beispiel der Aufbau einer Niederlassung für eine Ingenieurgesellschaft, die für Infrastrukturprojekte im Auftrag einer Regierung, NGO oder der Weltbank Planungs- /Projektmanagementaufgaben durchführt. Hier sind hochspezialisierte Ingenieure gefragt, die über den Marktzugang verfügen und zugleich in Querschnittsfunktion als Business Development Director für die Region fungieren.
Wir haben in den letzten drei Jahren Ingenieure für Großprojekte im Bereich Eisenbahn-Infrastruktur im Maghreb, Mittleren Osten, China, Türkei und Osteuropa gesucht. In dieser Zeit haben wir etwa 4.500 Bewerbungen ausgewertet. Die Kandidaten mussten über ein Ingenieurstudium und über mehr als sieben Jahre Berufserfahrung zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen als Projektingenieur verfügen.
Die Ausbildungen lassen sich nicht vergleichen und man kann bei den Abschlüssen in Asien generell nicht den gleichen Maßstab ansetzen wie in Deutschland. Der beruflichen Praxis muss man daher ein genaues Augenmerk widmen und dort auf die beruflichen Wurzeln zurückgehen. Oft werden die jungen Ingenieure schon mit dem Berufseinstieg Manager und führen eine kleine Truppe. Dem Absolventen bleibt keine Zeit, sich mit Inhalten vertraut zu machen. Sie übernehmen sehr schnell das Vokabular ihrer Vorgesetzten und werden ohne substantielle Weiterentwicklung befördert. Erfreuliche Ausnahmen erlebt man dort, wo der Berufseinsteiger zunächst in Workshops arbeitet und dort selbst die Produkte/ Dienstleistungen wie auch den Arbeitsablauf erlernt und sich dann systematisch weiter entwickelt. Die Fluktuation ist bei den inhaltlich orientierten Ingenieuren weitaus geringer.
Wir mussten feststellen, dass Bewerber aus industriell unterentwickelten Regionen auch über ein geringeres Know-how verfügen. Bewerber mit langjähriger Eisenbahn-Berufserfahrung aus Indien, Pakistan oder Bangladesch sind, wenn sie nicht schon in jungen Jahren auf große internationale Baustellen abgewandert sind, kaum einsetzbar. Sie befinden sich technologisch 30 Jahre hinter dem westlichen Standard - der Sprung für sie wäre zu groß.
Wir neigen dazu, auch in anderen Kulturen deutsche Verhaltensformen zugrunde zu legen und gehen uns dabei selber auf den Leim. Loyalität nimmt auch in Deutschland ab, in China oder Indien ist diese in geringerem Maße gefordert. Der Mitarbeiter, den Sie heute eingestellt haben, bewirbt sich schon morgen wieder oder fängt erst gar nicht an. Die Mittelschicht in Indien verbringt einen guten Teil ihrer Zeit mit Bewerbungsgesprächen und wetteifert um Gehaltssprünge. Sie können sich exzellent präsentieren, sind jedoch ausgesprochen fordernd. Ihren Familien fühlen sie sich durchweg mehr verpflichtet als ihrem Arbeitgeber.
Dieser Text wurde Ende Oktober 2011 in einer kürzeren Version in der Insight Asia-Pacific (IAP), dem Asienmagazin der German Asia Business Association (OAV) veröffentlicht.