Gorin-no-Sho
Miyamoto Musashis "Buch der fünf Ringe": Zeitlose Strategie für Kampf und Business
Ein Blick auf das "Gorin-no-sho" – Weisheiten eines herrenlosen Samurai, die weit über die Schwertkunst hinausgehen und bis heute in der japanischen Geschäftswelt angewendet werden.
Dieter Feige, November 2014
Das „Gorin-no-sho“ (Buch der fünf Ringe) ist für Japaner weit mehr als nur ein Werk der Schwertkunst. Sein Autor, Miyamoto Musashi, wird als Kensei – ein Weiser des Schwertes – verehrt. Dieses Buch steht an erster Stelle in jeder Kendô-Bibliographie, weil es einzigartig die Strategie im Großen wie die Methoden des Einzelkampfes behandelt. Es ist kein bloßes Lehrbuch, sondern, nach Musashis eigenen Worten, „ein Lehrmeister für Männer, die das Wesen der Strategie erlernen wollen“. Auffällig ist dabei, dass der sonst so zentrale Begriff der Loyalität – der unbedingten Treue zum Clan-Fürsten – nirgends erwähnt wird. Tatsächlich war Musashi seiner Herkunft nach ein Rônin, ein herrenloser Samurai, und fühlte sich selbst als berühmter Schwertmeister stets unabhängig.
Musashi schreibt über die verschiedenen Aspekte des Kendô auf eine Weise, die sowohl Anfängern als auch Meistern zugänglich ist. Seine Worte können auf unterschiedlichen Ebenen interpretiert werden, je nach Bildungsstand und Erfahrung des Lesers. So bezieht sich sein Buch nicht nur auf militärische Techniken, sondern auf jede Situation, in der Planung und Taktik entscheidend sind. Es ist kein Zufall, dass japanische Geschäftsleute das „Gorin-no-sho“ als Handbuch für die Planung ihrer Verkaufskampagnen nutzen und dabei dessen energische und wirksame Methoden anwenden. Es ist eine zeitlose und eingängige Lektüre, die man jedem wärmstens empfehlen kann.
Miyamoto Musashi: Der unbesiegte Rônin
Miyamoto Musashi lebte Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts – eine Zeit, in der Samurai in Japan zwar als Elite galten, viele jedoch als mittellose Rônin durchs Land streiften, sofern sie keine beamtenähnliche Stellung innehatten. Duelle und Geschicklichkeitskämpfe waren an der Tagesordnung.
Musashis Vorfahren gehörten zu einem Zweig des mächtigen Harima-Clans in Kyûshû, der südlichen Insel Japans. Als er sieben Jahre alt war, starb oder verschwand sein Vater Munisai. Musashi wuchs also als Waise in bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf, während Japan durch die Feldzüge Hideyoshis geeint werden sollte. Seinen ersten Kampf bestritt Musashi mit zwölf Jahren. Mit sechzehn verließ er seine Heimat, um sich auf „Kriegerwallfahrt“ zu begeben. Er blieb Sieger in vielen Kämpfen und nahm an sechs Kriegen teil. Bevor er sein neunundzwanzigstes Lebensjahr vollendete, hatte er bereits über sechzig Kämpfe bestritten und alle gewonnen. Mit fünfzig Jahren zog er sich schließlich zurück. Musashis Leben endete am 13. Juni 1645 in der Höhle Reigandō, wohin er sich zurückgezogen hatte, um sein „Gorin-no-Sho“ zu schreiben, das er einige Wochen vor seinem Tode seinem Schüler Terao Magonojo übergab.
Die fünf Bücher der Strategie
Das „Gorin-no-Sho“ ist in fünf Kapitel unterteilt, die jeweils einen zentralen Aspekt der Strategie beleuchten:
- Buch der Erde: Hier legt Musashi die Grundlagen seiner Lehre und verortet sie in den Kontext von Kendô und Zen.
- Buch des Wassers: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Techniken des Schwertkampfes.
- Buch des Feuers: Hier geht es um Taktiken, sowohl in der großen Schlacht als auch im Einzelkampf.
- Buch des Windes: In diesem Kapitel setzt sich Musashi kritisch, teils abfällig, mit anderen zeitgenössischen Schwertkampfschulen in Japan auseinander.
- Buch der Leere: Als letztes Kapitel schließt es das Buch der fünf Ringe ab und behandelt die immateriellen Aspekte der Kampfkunst und Strategie.
Weisheiten aus dem „Buch des Feuers“: Ausgewählte Zitate
Musashis Worte sind prägnant und voller praktischer Einsichten. Hier einige Beispiele aus dem "Buch des Feuers":
- Über die Schwertkunst und das Schicksal: „In meiner Schwertkunst geht es darum, dass einer in jedem Kampf sein Schicksal herausfordert; dass er das Prinzip von Leben und Tod begreift; dass er um das Grundwesen des Schwertes weiß; dass er beurteilen kann, ob der angreifende Gegner ein starkes oder ein schwaches Schwert führt; dass er die Techniken des Gebrauchs des Schwertes kennt und weiß, wie man dem Gegner das Schwert wegschlägt; dass er willens ist, zu üben.“
- Die drei Methoden der Führung (Ken-no-sen):
- „Führung durch Eröffnung“ (Ken-no-sen): Dem Gegner mit dem Angriff zuvorkommen.
- „Führung durch Abwarten“ (Tai-no-sen): Genau in dem Augenblick die Führung an sich reißen, wenn der Gegner angreift.
- „Führung bei Gleichstand“ (Taitai-no-sen): Wenn beide gleichzeitig angreifen, dennoch die Führung an sich reißen.
- Den Schatten in Bewegung bringen: „‚Den Schatten in Bewegung bringen‘ musst du dann, wenn du die Absichten deines Gegners nicht zu durchschauen vermagst. Sobald du dir in der Schlacht über die Verhältnisse auf der gegnerischen Seite nicht klar bist, tust du so, als wolltest du mit Macht angreifen. Dadurch werden dir die Pläne deines Gegners deutlich werden.“
- Beeinflussung durch Übertragung: „Vieles ist auf andere übertragbar. Müdigkeit und Gähnen können ansteckend wirken. Auch das Zeitgefühl ist übertragbar. Ist in einer großen Schlacht der Gegner erregt und versucht er, die Dinge rasch voranzutreiben, so gehe in keiner Weise darauf ein, sondern zeige ihm vielmehr eine sichtbar ruhige Haltung. Hierauf wird es der Gegner dir gleichtun, und sein Kampfgeist wird erschlaffen. Sobald du nun spürst, dass sich die Stimmung solchermaßen auf ihn übertragen hat, greifst du ihn mit der größten Unbekümmertheit, aber rasch und kräftig an und bist so imstande, den Kampf für dich zu entscheiden.“
- Der Wechsel zwischen Berg und Meer: „‚Wechsel zwischen Berg und Meer‘, das besagt: Im Kampf mit dem Gegner ist es von Übel, mehrmals auf die gleiche Weise vorzugehen. Dass man dasselbe zweimal tut, ist unvermeidlich, aber ein drittes Mal nie.“
Miyamoto Musashis „Buch der fünf Ringe“ bleibt ein faszinierendes Dokument menschlicher Strategie und Anpassungsfähigkeit. Seine Prinzipien sind zeitlos und können, wie die japanischen Geschäftsleute beweisen, auch in der modernen Welt erfolgreich angewendet werden. Es geht nicht nur um den Kampf, sondern um das Verständnis von Dynamiken, das Erkennen von Chancen und das Meistern jeder Herausforderung – sei es auf dem Schlachtfeld oder im globalen Wettbewerb.
