Pilatusbahn
Der Berg ruft! Eine persönliche Reise zur steilsten Zahnradbahn der Welt und die Marketing-Magie eines unvergesslichen Erlebnisses.
Dieter Feige, Juli 2020
"Waren Sie schon auf dem Pilatus?" Diese scheinbar einfache Frage eines Ingenieurs in einem Bewerbungsverfahren traf mich wie ein Blitz. Es war eine jener Fragen, die Tiefe bergen, vergleichbar mit "Lieben Sie Brahms?" oder "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?". Meine Antwort, wohl repräsentativ für die meisten, war ein klares Nein. "Gönnen Sie sich dieses einmalige Erlebnis!", plädierte er. "Ein Weltwunder dank Schweizer Ingenieurskunst, die steilste Bergbahn der Welt!"
Sein Enthusiasmus für das Schweizer Eisenbahnwesen, seine technischen Meisterleistungen und technologischen Errungenschaften war ansteckend. Beeindruckt von seinen lebhaften Schilderungen, recherchierte ich online: Die Pilatusbahn, gebaut ab 1886, eröffnet 1889 (damals dampfbetrieben), ist die steilste Zahnradbahn der Welt. Sie meistert mit bis zu 48% Steigung eine Höhendifferenz von 1.633 Metern! Der Clou: Um diese enorme Steigung überhaupt zu bewältigen, wurde ein neuartiges, horizontal arbeitendes Zahnradsystem entwickelt, das die Gefahr des Aufkletterns bei herkömmlichen vertikalen Systemen eliminiert. Das überzeugte mich restlos. Irgendwann musste ich auf den Pilatus!
Der Ruf des Berges: Mehr als nur eine Fahrt
"Der Berg ruft" – dieser Filmtitel über die Erstbesteigung des Matterhorns mit dem legendären Luis Trenker hat für mich eine besondere Bedeutung. Berge üben eine starke Anziehungskraft auf viele Menschen aus, und ich zähle mich dazu. Sich auf Berggipfel zu begeben, sie zu erklimmen und zu bezwingen, hat einen tiefen, fast mystischen Bezug und ist wohl so tief im Menschen verwurzelt wie die Passion zum Jagen. Die "Beute" der Gipfelstürmer ist in majestätischer Höhe der herrliche Ausblick auf Land, Täler, Seen und den fernen Horizont. Gipfelwanderungen, sei es auf den Kilimandscharo oder eben auf den Pilatus, sind mehr als nur Sport; sie sind Kult-Events mit ähnlichem Stellenwert wie der Jakobsweg.
Ein kleiner Tipp für Führungskräfte: Das Ersteigen eines Berges kann aufschlussreich sein. Es hilft herauszufinden, ob die mit dem Karriereaufstieg dünner werdende Luft zuträglich ist – oder ob sich gar Höhenangst einstellt.
Die Goldene Rundfahrt: Ein Erlebnis-Mix der Superlative
An einem Wochenende im Sommer 2020 war es so weit: Wir brachen zum Pilatus auf. Mit dabei: mein langjähriger Freund und Marathonpartner Frank und mein Sohn Golo, dessen Lebensmittelpunkt die Bankenstadt Zürich ist. Reisen in die Schweiz nutze ich stets, um ihn an wechselnden Orten zu treffen und gelegentlich eine längere Strecke bis zur Marathondistanz gemeinsam zu laufen. Vor seiner Ankunft besuchte ich das Verkehrshaus der Schweiz in Luzern, ein weltweit bekanntes Museum mit vielen attraktiven Angeboten. Der Stolz der Schweizer auf ihre Bahn wird hier in vielen Exponaten – von Lokomotiven über Waggons bis zu Spezialfahrzeugen – lebendig. Diese technische Schau wird flankiert von einer sehr anschaulichen Präsentation der Bahnberufe – eine museumspädagogische Meisterleistung, die einen Besuch absolut lohnt!
Kaum war mein Sohn Golo eingetroffen, ging es mit dem „Goldenen Ticket“ aufs Boot. Leinen los zur „Goldenen Rundfahrt“, einem phantastischen Erlebnis-Mix aus Schiffsreise, Zahnradbahn und Luftseilbahn. Nach dem Auslaufen zog das Schiff zuerst eine Schleife entlang der beschaulichen Altstadtkulisse Luzerns, dann ging es der malerischen Küstenlandschaft des Vierwaldstättersees entlang bis nach Alpnachstad. Viele Geschichten ranken sich um diesen See, die bekannteste wohl die des Nationalhelden Wilhelm Tell.
Die steilste Herausforderung: Ingenieurskunst in Aktion
Wieder an Land, bestiegen wir die Pilatusbahn, die der kühnen Idee des Ingenieurs Eduard Locher zu verdanken ist. Dank seiner genialen Konstruktion zweier horizontal drehender Zahnräder war die technische Überwindung von Steigungen bis 48% realisierbar. Die 4.618 Meter lange Strecke mit einer Höhendifferenz von 1.633 Metern bis Pilatus-Kulm wird mit Tempo 9 bis 12 km/h bergwärts in nur 30 Minuten bewältigt. Die Bahn, ab 1937 elektrifiziert, führt von 440 auf 2.073 Meter Höhe, unterbrochen durch fünf kurze Tunnel.
Die Fahrt setzte die Passagiere schnell in Euphorie. Rechterhand zogen farblich und strukturell unterschiedliche Gesteinsformationen mit wechselnder Vegetation vorbei, linkerhand offenbarte sich der großartige Blick auf das sich immer breiter ausladende Tal mit dem eingebetteten, an Ausdehnung größer werdenden See. Wie in einem Zoom offenbarte sich der rasche Aufstieg zum Gipfel. Ein Aufwärtsgefühl, das Achterbahnen oder Riesenräder nur für Minuten bieten.
Drachenflug und Gipfelerlebnis: Ein Panorama zum Verweilen
Krönender Abschluss war der Panoramablick von der Aussichtsplattform. Doch der Pilatus bietet mehr als das allein. Ein breit gefächertes Angebot erwartet den Besucher, allen voran der Drachenweg durch die Klüfte des Berges, wo der Sage nach heilbringende Drachen hausten. Nach den überwältigenden Eindrücken dieser weltweit einzigartigen Steilfahrt und den faszinierenden Ausblicken war eine Stärkung mit kulinarischen Köstlichkeiten der Schweizer Küche fällig.
Danach erwartete uns ein "Drachenflug" talwärts: mit der Luftseilbahn „Dragon Ride“ nach Kriens. Die „Dragon Ride“ ist ein Sinkflug-Abenteuer am sicheren Seil – kurz vor einem Stuka-Flug. Eine komfortable Kabine für 55 Personen, die mit bodentiefen Fenstern wie ein Cockpit anmutet. Im rasanten Tempo von 9 Metern pro Sekunde schwebt man auf einer Strecke von fast 1.400 Metern ins Tal, überwindet dabei knapp 650 Meter Höhendifferenz. Die Ankunft in Kriens setzte den Schlusspunkt einer Reise, die auch einen willkommenen Ausbruch aus der coronabedingten Talfahrt von Home-Office und Videokonferenzen bot.
Das "Goldene Ticket": Eine Meisterleistung des Stadtmarketings
Das „Goldene Ticket“ zum Pilatus, mit einem Preis von CHF 110 (Stand 2020), erinnert mich unweigerlich an die fünf "Goldenen Tickets" von Willy Wonka aus dem Film „Charlie und die Schokoladenfabrik“. Die übermäßige Nachfrage nach diesen in Schokoladentafeln verpackten Tickets, die eine exklusive Besichtigung seiner Fabrik versprachen, bescherte dem cleveren Fabrikanten eine enorme Umsatzsteigerung.
Das „Goldene Ticket“ zum Pilatus und zurück erzielt gleichermaßen diesen ökonomischen Effekt eines "goldenen Füllhorns". Denn dieses attraktive Event- und Shopping-Konzept übt eine starke Magnetwirkung auf Touristen weltweit aus, die Luzern mit seinen knapp 80.000 Einwohnern in großen Scharen bevölkern. Das Raffinement bei Schokolade ist der superbe Geschmack und das Glückshormon Dopamin – man kann einfach nicht genug davon bekommen. Mit den gleichen "Zutaten" wirkt das Rezept „Goldenes Ticket“: atemberaubende Bergromantik, eine beeindruckende Bootsfahrt, erlebbare High-End-Technik der Fahrangebote auf Schiene und am Seil sowie viele exklusive Erlebnis- und Shoppingangebote.
Alles greift in nahtloser Präzision ineinander, wie bei Schweizer Chronometern und den Zahnrädern der Pilatusbahn. Vor allem Gastronomie, Einzelhandel und Hotellerie profitieren vom Pilatus. Die Verweilzeiten auf den touristischen Parcours und Flanierzonen sind kurz getaktet – hier eine Uhr, dort ein Menü, natürlich Souvenirs. Fazit: Eine genusssteigernde Stadtmarketingstrategie, die den Tourismus nachhaltig belebt und ein unvergessliches Erlebnis schafft.




