The point of no return
The Point of No Return: Landing on the runway
Navigieren durch Ungewissheit: Warum entscheidende Momente in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft den ultimativen Test bedeuten.
Dieter Feige, Juni 2013
Wer einst den Anflug auf den alten Flughafen von Hongkong miterleben durfte, wird sich sicherlich erinnern: Nach einem langen Sinkflug flog der Pilot zwischen den Hochhäusern auf einen Fixpunkt zu, um dann die Maschine plötzlich, in einer 90°-Drehung, auf die wegen Seitenwind gefürchtete Landebahn KAI TAK zu steuern. Von diesem Moment an gab es kein Zurück mehr. Was für den Piloten Routine war, war für diejenigen, die diese Strecke zum ersten Mal flogen, nervenaufreibend. Selbst hartgesottene Weltenbummler sahen eine Steigerung nur im Bungee-Jumping von den Victoriafällen zwischen Simbabwe und Sambia. Der nun auf die Insel Lantau vorgelagerte internationale Flughafen lässt (leider) all den Nervenkitzel vermissen."
Wer sich noch einmal vor Augen und Ohren führen möchte, wie atemberaubend riskant die Landeanflüge auf Kai Tak waren, der wird bei diesem Video garantiert 3 Minuten, 44 Sekunden die Welt um ihn herum vergessen. Nichts für schwache Nerven: https://www.youtube.com/shorts/afj6EwlCyXg
Wirtschaft: Auf dem Weg zur Wende?
Die Frage, die sich uns heute stellt: Erwarten wir einen holprigen Landeanflug zu einem guten Ende? Werden lange – wenn auch hierzulande eher weniger – ertragene Krisen endlich überwunden? Einiges spricht dafür. Das Jahr ist noch jung, die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings genießen wir und wagen einen Ausblick auf die bevorstehenden Entwicklungen.
Konjunkturelle Prognosen sind vielfältig, doch in Bezug auf das erwartete Wachstum für Deutschland liegen viele dicht beieinander. Getreu dem Motto „ein kluges Pferd springt nur so hoch, wie es muss“ stapeln einige mit bescheidenen Werten tief. Optimistischer, mit internationalem Blick, zeigen sich andere Prognosen. Hoffnungsfroher sind nur wenige Institute, die die Wachstumsaussichten als noch positiver bewerten.
Aktuelle Daten zeigen einen deutlichen Anstieg wichtiger Geschäftsklima-Indizes. Vor allem im Export herrscht angesichts weit entfernter, wachsender Volkswirtschaften in Südostasien (Indonesien, Malaysia, Vietnam) und Südamerika (Kolumbien, Peru) verbesserte Stimmung. Einer Studie zufolge könnten niedrige Zinsen, Inflationsangst und Steuereinnahmen der Bauwirtschaft zu einem kräftigen Wachstum verhelfen. Umfragen des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) zeigen, dass deutsche Firmen weiterhin neue Arbeitsplätze schaffen wollen – ein Novum in der jüngeren deutschen Geschichte.
Die EU-Verschuldungskrise: Eine anhaltende Herausforderung
Die EU-Verschuldungskrise ist – bis auf Weiteres – in Deutschland nur peripher spürbar. Obwohl in den letzten Jahren immer wieder beunruhigende Nachrichten von Staatsbankrott und drastischer Jugendarbeitslosigkeit aus Südeuropa kamen und junge Arbeitsmigranten hoffnungsvoll auf den deutschen Arbeitsmarkt strömten, stellt sich die Frage, ob Deutschland diese Sonderstellung halten kann.
Geldpolitische Schachzüge großer Zentralbanken haben die Märkte beruhigt, und das EU-Geschäftsklima entwickelt sich nach Rückgängen wieder positiv. In vielen EU-Ländern beurteilen befragte Experten die Aussichten für die nächsten sechs Monate günstig; einige Länder bleiben jedoch weiterhin eine Herausforderung. Auch der deutsche Export verzeichnet wieder eine gestiegene Nachfrage aus dem EU-Ausland.
Dennoch haben sich öffentliche und private Schulden durch die bisherige Wirtschaftsflaute in vielen Teilen des Euro-Raums festgesetzt. Auch der IWF prognostiziert, dass Europa noch eine Weile in einer Phase geringen Wachstums verharren wird. Die Euro-Krise ist kein Teufel, der lediglich von Spekulanten an die Wand gemalt wird. Temporäre Rettungsschirme und dauerhafte Mechanismen mildern lediglich die Symptome der Krise. Sie sind kein Allheilmittel gegen die jahrelange, mangelnde Haushaltsdisziplin und ansteigende Gesamtverschuldung einiger EU-Mitgliedstaaten. Hier sind schmerzhafte Reformen überfällig.
Grundlegend lässt sich die politische Frage nicht länger ausweichen, wie eine Währungsunion eigentlich funktionieren soll, wenn die Länder sich in ihrer Realwirtschaft stark unterscheiden und gleichzeitig keine Transferleistungen und Vergemeinschaftung der Schulden gegeben sind. Eine gemeinsame Bankenaufsicht ist hoffentlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Internationale Märkte und Weltwirtschaft: Ein gemischtes Bild
Auch auf den internationalen Märkten und für die Weltwirtschaft sind die Aussichten weiterhin durchwachsen. In den USA beeinflussen politische Einigungen und Uneinigkeiten das Budget und die Wirtschaftsleistung. Jährliche Einsparungen können das prognostizierte Wirtschaftswachstum auf eine minimale Steigerung zurückgehen lassen, vergleichbar mit der Deutschlands. Die Ursachen liegen wie in Europa in kumulativer Verschuldung.
Die chinesische Wirtschaft, die einst zweistellige Wachstumsraten gewohnt war, verzeichnete eine Verlangsamung. Mindestens sieben Prozent beim BIP sind in einem Schwellenland wie China wegen des großen Nachholbedarfs notwendig, um ausreichend Jobs zu schaffen und Entwicklungsprobleme zu lösen. Die Prognosen bewegen sich nur knapp darüber, während die Weltbank etwas optimistischere Zahlen erwartet. Ein gutes Zeichen für Wachstumsdynamik könnten der unerwartet kräftige Anstieg der Lebenshaltungskosten sowie die Nachfrage im Inland sein.
Auch Indien sieht sich mit einem schwächeren Wirtschaftswachstum konfrontiert. Eine hohe Inflation und sinkende Verbraucherausgaben machen der indischen Volkswirtschaft zu schaffen. Da sich keine der großen Volkswirtschaften als alleiniger Motor für die Weltwirtschaft aufdrängt, schwächelt diese in den Prognosen konsequent. Weltbankökonomen sprechen von einer Verzögerung der erwarteten Belebung der Weltkonjunktur.
„Es ist das Wesen ökonomischen Erfolgs, schlechte Stimmung als Indikator für Umbrüche und neue Chancen zu verstehen“, so Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts. „Gute Stimmungen sind gute Zeiten für Kopierer, Nachahmer und Massenhersteller, die auf der Welle des allgemeinen Erfolgs mitsurfen. In Zeiten schlechter Stimmungen hingegen schlägt die Stunde kreativer Unternehmer, die neue Wege gehen oder auch einmal gegen den Strom schwimmen.“ Warum sollten deutsche Unternehmen also nicht neue Märkte in den oben genannten Wachstumsregionen erschließen?
Politik: Die Last der Entscheidungen
In diesem Jahr stehen wieder wichtige Wahlen an, die die politische Landschaft prägen werden. Während die Regierungsparteien versuchen, ihre Agenda durchzusetzen, positioniert sich die Opposition mit scharfer Kritik an der sozialen Gerechtigkeit. Debatten um Steuererhöhungen für höhere Einkommen, die Abschaffung des Ehegattensplittings oder die Einführung einer Vermögensabgabe sind zentraler Bestandteil des Wahlkampfes. Der Trend geht also in Richtung Abgabenerhöhung, was dem geneigten Wähler kaum schmecken dürfte.
Internationale Politik: Eskalationspotenzial
Aktuell lodern Konflikte auf, deren Dreh- und Angelpunkt die internationale Sicherheitspolitik ist: die Atombombe. Länder demonstrieren lautstark ihre nuklearen Fähigkeiten. Die internationale Strategie der Eindämmung scheint immer wieder an ihre Grenzen zu stoßen. Die Frage, wie mit unberechenbaren Akteuren umgegangen wird, bleibt offen.
Ein weiteres Szenario betrifft Länder, die potenziell Atomwaffen entwickeln könnten. Hier gilt die Gegenwart als Jahr der Entscheidung. Der diplomatische Druck ist enorm, es wird mit allen Mitteln versucht, eine weitere Proliferation zu verhindern. Dabei wird weniger der tatsächliche Einsatz der Bombe befürchtet als vielmehr die Unantastbarkeit, die ein jetzt schon in viele Konflikte verdeckt involviertes Land erlangen könnte. Weitere internationale Brennpunkte, die weiterhin im Gespräch bleiben, sind Regionen des arabischen Raums, wo der Ausgang der politischen Umbrüche weiter unklar ist, sowie Krisengebiete, die angesichts angekündigter internationaler Truppenrückzüge beweisen müssen, ob sie auf sich gestellt Frieden und Stabilität bewahren können oder doch wieder in einen Bürgerkrieg zurückfallen.
Gesellschaft: Trendfarben und der ewige Frühling
Was große Trendforschungsinstitute als Farbe des kommenden Jahres küren, wird zum Trend. Experten geben den Ton an – Autoindustrie, Tapetenhandel und Textilbranche folgen. Ein Heer von Trendscouts schwärmt regelmäßig aus, um die Trendfarbe zu bestimmen. Dazu werden Nachtclubs und kleine Szenemagazine durchstöbert, Politik und globale Krisen analysiert, Blogs und YouTube-Videos durchforstet. Für dieses Jahr wurde Smaragdgrün, genauer Smaragdgrün Nummer 17-5641, zur Farbe des Jahres gekürt. Halten wir also die Augen auf.
Es ist eben wie auf dem Foto, trotz des neuerlichen Wintereinbruchs ist der Frühling nicht aufzuhalten – eben the point of no return.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute.
Ihr Dieter Feige